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Man hört nur mit dem Herzen gut

Benjamin Piwko ist 1,94m groß, dunkelhaarig, Kampfsportler, Schauspieler, Tänzer und Optimist. Und er ist gehörlos.

 

In seinem Buch "Man hört nur mit dem Herzen gut" schreibt er über sich selbst, wie er sprechen gelernt hat, von der Ablehnung während seiner Kindheit und auch von dem frühen Tod seiner Mutter. Und mit viel Humor auch über seine Liebe zu Süßigkeiten.

 

Jetzt, nachdem ich das Buch beendet habe, kann ich sagen, Benjamin Piwko ist anders als andere Menschen. Das erste, das ihn unterscheidet von den meisten ist, dass er gehörlos ist. Er ist taub und daran wird sich nie etwas ändern, weder durch Weggucken, noch durch Überspielen.

 

Aber auch abseits davon ist er nicht wie andere. Ich habe noch nie so einen optimistischen Menschen kennen gelernt. Und ich glaube, jeder Leser lernt Benjamin zwischen diesen Seiten kennen. Mit viel Humor erzählt er mal von lustigen, mal aber auch von tragischen Situationen aus seinem Alltag. Durch die Wörter strahlt er ein unglaublich großes Selbstwertgefühl aus. Auf keinen Fall ist er arrogant, aber er zählt seine Stärken auf und freut sich, dass er sie hat. Genauso erzählt er auch von seinen Schwächen, aber er versteckt sie nicht und sie sind ihm auch nicht unangenehm. Er schafft es, mit 236 Seiten einen Blick in seine Seele zu geben. Ein Beispiel:

 

Benjamin hat Sprechen gelernt, eine absolute Ausnahme für einen fast seit seiner Geburt gehörlosen Menschen. Damit gehört er nicht mehr zu den Gehörlosen, diese können meistens nicht sprechen. Zu den Hörenden gehört er aber eindeutig auch nicht. Statt sich jetzt allerdings, wie es wahrscheinlich viele andere gemacht hätten, verloren zwischen den Welten zu fühlen, sieht er sich als menschliche Brücke, die beide Seiten miteinander verbindet. 

 

 

 

Mir gefällt es, wie Benjamin Piwko schreibt. Autobiografien sind nicht einfach, oft sind sie zu lang, zu kurz, zu sachlich oder zu emotional. In dem Buch werden die Texte immer wieder von Abbildungen oder kleinen Infotexten und Aufgaben unterbrochen. Die Abbildungen sind wunderschön, und auch wenn die Aufgaben nichts für mich waren, sind sie eine tolle Art, an sich selber zu arbeiten. 

 

Einen Kritikpunkt habe ich allerdings, und zwar einen inhaltlichen. Der Autor spricht viel über die Eingliederung von Menschen mit Behinderung, da stimme ich ihm auch meistens zu. Wir brauchen im Deutschen Fernsehen mehr Filme mit Untertiteln und auch sonst mehr Offenheit für Menschen, die anders sind als wir. In einem Punkt kann ich ihm allerdings nicht zustimmen. Es geht um die Integration an Schulen. Benjamin Piwko schreibt, alle Kinder sollten gemeinsam unterrichtet werden, egal ob gesunde Kinder, geistig behinderte Kinder oder körperlich eingeschränkte Kinder. Damit Akzeptanz zu etwas natürlichem wird. Als angehende Sonderpädagogin beschäftige ich mich jeden Tag mit dem Thema und kann diesen Standpunkt nicht verstehen. 

 

Der Autor schreibt, das Lerntempo sollte auf den Schwächsten angepasst werden. Das setzt etwas voraus, nämlich, dass er verstanden hat, dass nicht alle Kinder gleich sind. Für mich stellt sich die Frage, was dagegen spricht, jedes Kind individuell zu fördern. Sollten wir nicht jedes Kind so annehmen wie es ist? Und nicht einem Kind über Jahre jeden Tag zeigen, welche Schwächen es hat, die ihm auch vorher schon bewusst waren. Auch Kinder sehen Unterschiede zwischen sich und anderen. Zur individuellen Förderung gehört für mich auch, dass wir nicht nur die Schwächeren fördern, sondern auch die Stärkeren. Intelligenz sollte nicht als Ausrede benutzt werden, um sich nicht mit einem Kind zu beschäftigen. Statt alle gleich zu unterrichten lohnt es sich sehr oft die Kinder zu trennen und mit jedem Kind da anzufangen, wo es gerade steht. Damit es Erfolge hat und glücklich ist. Damit jedes Kind gerne lernt. Integration ist natürlich wichtig, aber anstatt an politische Ziele, sollten wir an die Menschen denken. An alle Menschen. Nur so kann es endlich Akzeptanz geben.

 

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